In diesem Artikel beantworten wir die 5 zentralen Fragen rund um die Gefährdungsbeurteilung „Arbeitszeit“, die uns Interessenvertretungen immer wieder stellen. Insbesondere wird geklärt, warum die Gestaltung der Arbeitszeit entscheidend für die Zufriedenheit und Gesundheit der Beschäftigten ist. Zudem wird gezeigt, wie die Gefährdungsbeurteilung und die Mitbestimmung dazu beitragen, gesundheitsgerechte Arbeitszeiten und Schutzmaßnahmen zu entwickeln. Nicht zuletzt beschreiben wir ein von der TBS NRW entwickeltes Verfahren zur systematischen Erfassung und Bewertung möglicher Gefährdungsfaktoren.
Warum ist Arbeitszeit ein Arbeitsschutzthema?
Die Arbeitszeit ist ein wichtiger Faktor für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Beschäftigten. Zu lange, zu unregelmäßige oder zu flexible Arbeitszeiten können zu psychischen Belastungen (z.B. Überforderung, Stress) und physischen Belastungen (z.B. Schlafstörungen) führen. Das erhöht das Risiko für Erkrankungen, Unfälle und Burnout. Auch Arbeitsqualität, Arbeitssicherheit, und Kundenzufriedenheit können leiden. Eine gute Arbeitszeitgestaltung ist damit eine wichtige Ressource zur Verbesserung der Gesundheit und Zufriedenheit der Beschäftigten.
Aus diesem Grund gibt es gesetzliche Regelungen, die die Arbeitszeit begrenzen und gestalten sollen. Hierzu gehört das Arbeitszeitgesetz (ArbZG), das die werktägliche und wöchentliche Arbeitszeit, die Pausen, die Ruhezeiten und die Sonn- und Feiertagsarbeit regelt. Ebenfalls maßgeblich ist die europäische Richtlinie zur Arbeitszeitgestaltung (2003/88/EG) mit ähnlichen Vorgaben. Diese rechtlichen Vorgaben haben das Ziel, die Gesundheit der Beschäftigten vor Überbeanspruchung zu schützen und ihnen ausreichende Erholungszeiten zu gewährleisten.
Nicht zuletzt ist das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) eine wichtige Grundlage für den Schutz der Beschäftigten vor gesundheitsschädlichen Arbeitszeiten. In diesem sind grundlegende Verantwortlichkeiten und Mindeststandards im Arbeitsschutz geregelt. So auch die Verpflichtung zu einer Gefährdungsbeurteilung „Arbeitszeit“.
Was ist die Gefährdungsbeurteilung „Arbeitszeit“?
Die Gefährdungsbeurteilung (GBU) ist ein zentrales Instrument des Arbeitsschutzes, das der Arbeitgeber nach dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) durchführen muss. Die Gefährdungsbeurteilung dient dazu, die Gefahren für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten systematisch zu ermitteln und zu bewerten mit dem Ziel, sie zu beseitigen oder zu minimieren. Die Beurteilung muss alle Aspekte der Arbeit berücksichtigen, die die Gesundheit der Beschäftigten beeinflussen können, einschließlich der Arbeitszeit.
Die GBU „Arbeitszeit“ soll die Auswirkungen der Arbeitszeitgestaltung auf die Gesundheit der Beschäftigten analysieren und geeignete Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen vorschlagen. Dabei sollen die individuellen Bedürfnisse und Präferenzen der Beschäftigten, die betrieblichen Erfordernisse und die gesetzlichen Vorgaben in Einklang gebracht werden. Die GBU „Arbeitszeit“ sollte mindestens folgende Aspekte umfassen:
- Die Dauer der Arbeitszeit, insbesondere die Einhaltung der Höchstarbeitszeit und der Mindestruhezeit, die Sonn- und Feiertagsarbeit, die Schicht- und Nachtarbeit,
- die Verteilung der Arbeitszeit, insbesondere die Regelmäßigkeit, die Vorhersehbarkeit und die Flexibilität der Arbeitszeiten,
- die Lage der Arbeitszeit, insbesondere die Berücksichtigung der biologischen Rhythmen, der sozialen Zeiten und der persönlichen Lebenssituation der Beschäftigten,
- die Gestaltung der Arbeitszeit, insbesondere die Pausen, die Erholungszeiten, die Arbeitsunterbrechungen und die Abwechslung der Tätigkeiten,
- Rahmenbedingungen der Arbeitszeitgestaltung wie Personalausstattung, die Vertretungsplanung, die Urlaubsplanung sowie die Berücksichtigung besonderer Beschäftigtengruppen.
Wie können Interessenvertretungen die Gefährdungsbeurteilung nutzen?
Interessenvertretungen haben sowohl bei der Regelung der Arbeitszeiten als auch beim Gesundheitsschutz ein gewichtiges Wort mitzureden. Sie haben ein Mitbestimmungsrecht bei der Arbeitszeitgestaltung nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG sowie bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung nach § 87 Abs 1. Nr. 7. Zudem haben sie die Pflicht zur Überwachung der Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften und zur Zusammenarbeit mit betrieblichen und behördlichen Akteuren nach § 89 BetrVG. Für Personalräte und Mitarbeitervertretungen existieren ebenfalls entsprechende Regelungen. Betriebsräte, Personalräte und Mitarbeitervertretungen können also die Arbeitszeitgestaltung sowohl über die Mitbestimmungsrechte zur Arbeitszeit als auch zum Arbeitsschutz aktiv mitgestalten und dabei die Gefährdungsbeurteilung als Instrument nutzen, um gesundheitsgerechte Arbeitszeiten in ihrem Betrieb zu fördern.
Um die Gefährdungen, die durch die Arbeitszeit entstehen, optimal erfassen zu können, hat die TBS mangels zufriedenstellender Alternativen ein eigenes Verfahren entwickelt. Ein Verfahren, das auch im Gremium genutzt werden kann, um Handlungsbedarfe zur Verbesserung der Arbeitszeitgestaltung zu identifizieren – etwa als Vorbereitung für die Verhandlung einer neuen Betriebs- oder Dienstvereinbarung zur Arbeitszeit.
Wie funktioniert das Verfahren der TBS NRW als Gefährdungsbeurteilung „Arbeitszeit“?
Das orientierende Verfahren der TBS NRW fußt auf einem Fragebogen, der eine systematische Ermittlung und Bewertung von Gefährdungen durch die Arbeitszeit ermöglicht. Dieser enthält 18 Themenbereiche zur Arbeitszeitgestaltung im Betrieb.
Dazu gehören unter anderem die Definition und die Selbstbestimmtheit der Arbeitszeit sowie die Mehrfachbeschäftigung. Weitere Aspekte sind die Grundplanung der Arbeitszeit, insbesondere des Schichtsystems, sowie die Personalausstattung und die Vertretungs- und Urlaubsplanung. Auch besondere Beschäftigtengruppen und strukturelle Rahmenbedingungen werden berücksichtigt. Zudem behandelt der Text das Verfahren der Schichtplanung, die werktägliche und wöchentliche Arbeitszeit, Pausen und Ruhezeiten. Reisezeiten, Sonn- und Feiertagsarbeit sowie Schicht- und Nachtarbeit sind ebenfalls relevante Themen. Ergänzend geht es um ergebnisorientiertes Arbeiten und tarifrechtliche Öffnungsklauseln.
Bewertet werden die aufgeführten Gefährdungsfaktoren anhand einer Ampel-Bewertungsskala, die das Risiko der Gefährdungen anhand der Häufigkeit, der Eintrittswahrscheinlichkeit und der Belastungsfolgen angibt (rot = hohes Risiko, gelb = mittleres Risiko, grün = niedriges Risiko).
Eine ausführliche Beschreibung des TBS-Verfahrens enthält die Broschüre „Praktisches Verfahren GBU Arbeitszeit“, die hier heruntergeladen werden kann.
Was kann bei einer Gefährdungsbeurteilung „Arbeitszeit“ in der Praxis herauskommen?
Das TBS-Verfahren wurde in verschiedenen Szenarien und Branchen erprobt, zumeist im Rahmen von Workshops mit Vertreter*innen der Unternehmensleitung und der Interessenvertretung sowie betroffenen Beschäftigten. Dabei wurden die Belastungsfaktoren des bestehenden Arbeitszeitsystems identifiziert und die Risiken initial bewertet. Die abschließende Bewertung der gesundheitlichen Risiken durch Beanspruchungen und Belastungsfolgen erfolgte gemeinsam anhand der Ampel-Skala. Das Ergebnis dieser Workshops war die gemeinsame Erarbeitung von Verbesserungen in der Arbeitszeitgestaltung, die im Maßnahmenplan festgehalten wurden.
Die Maßnahmen umfassten unter anderem:
- Die Reduktion von überlangen Arbeitszeiten durch eine verbesserte Verteilung von Zusatzschichten auf möglichst viele Beschäftigte sowie eine Reduktion von Zusatzschichten durch eine verbesserte Produktionsplanung.
- Die Verbesserung der Pausengestaltung durch eine feste Ablöseplanung mittels Springer an Anlagen, die durchgängig produzieren müssen. Zusätzlich: Eine Verbesserung der Pausenqualität durch Optimierung der Pausenräume und des Verpflegungsangebotes.
- Die Einführung eines gesundheitsgerechten Schichtmodells, das die arbeitsmedizinischen Erkenntnisse zur Schichtfolge, Schichtlänge, Schichtfrequenz und Schichtwechsel berücksichtigt.
- Die Berücksichtigung der Beschäftigteninteressen bei der Arbeitszeitgestaltung durch eine frühzeitige und transparente Schichtplanung, eine flexible Arbeitszeitkontenregelung und eine Beteiligung bei der Schichtgestaltung.
- Die Einführung eines Gleitzeitmodells, das den Beschäftigten mehr Spielraum bei der Lage und Verteilung ihrer Arbeitszeit gibt, aber auch feste Kernzeiten und maximale Arbeitszeiten vorsieht. Dazu wurden die bestehenden Regelungen zu den Arbeitszeitkonten flexibilisiert.
- Die Einführung von Homeoffice- und Telearbeitsmöglichkeiten, die den Beschäftigten mehr Ortsflexibilität ermöglichen, aber auch klare Regelungen zur Erreichbarkeit, zur Arbeitsmittelversorgung, zum Datenschutz und zur Arbeitssicherheit enthalten.
Wie kann mir die TBS NRW bei der Gefährdungsbeurteilung „Arbeitszeit“ helfen?
Der Fragebogen der TBS NRW ist ein hilfreiches Instrument zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung Arbeitszeit und der Förderung der Diskussion zwischen den verschiedenen betrieblichen Akteur*innen zum Thema Arbeitszeit. Er steht kostenlos auf der Website www.tbs-nrw.de zum Download bereit. Die TBS NRW bietet zudem Beratung und Seminare für Interessenvertretungen zum Thema Arbeitszeit und Gesundheit an. Wir können z.B. im Betrieb bei der Anwendung des Fragebogens helfen und die betrieblichen Akteure in der Durchführung und der Ableitung von Maßnahmen unterstützen.