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Die Industrialisierung der Dienstleistungsarbeit schreitet voran!

In nahezu allen Dienstleistungsbereichen halten Arbeits­systeme Einzug, wie sie aus Callcentern bekannt sind. Diese sich im Handel, bei Banken und Ver­sicherungen, in produktionsnahen Bereichen wie Service, Vertrieb, in Beratung und Beschaffung immer breiter entfaltende „Vercallcentrifizierung“ berührt alle Felder der betrieblichen Interessenvertretung, wie Arbeits- und Gesund­heits­schutz, Kontrolle und Überwachung, Arbeits­organisation, Qualifizierung, Eingruppie­rung und Ver­gütung. 

Um den Blick für diese Entwicklung zu schärfen, seien hier einige Ausprägungen dieser Tendenz genannt:

  • Im Rahmen der Geschäftsprozessoptimierung werden kundenserviceorientierte Strukturen geschaffen und sämtliche Prozesse auf Basis von Kenngrößen wie Bear­beitungs­dauer, Gesprächsdauer, Wartezeiten, Antwortzeiten, Prozessdurchlauf­zeiten oder Service Level ständig gemessen, angepasst, standardisiert und durch Zeitvorgaben kontrolliert.
  • Alle Kontaktkanäle zu den Kunden: Kundenbesuch, Anruf, E-Mail, Fax, Internet, Voicemail und soziale Netzwerke werden in die Bedienung und Verarbeitung integriert. Die Mit­arbeiter sollen „optimal“ ausgelastet sein, indem alle Aktivitäten auf die „freien“ Mitarbeiter verteilt werden. 
  • Um die Leistungsdichte zu erhöhen und qualifizierte Arbeits­kräfte einzusparen, werden die Abläufe technisch gesteuert, durchleuchtet und ihre Ergebnisse gemessen. Zudem werden verschiedene Qualifikationslevels und -skills eingerichtet, um die Personalkapazitäten zielgenau zu steuern. Außerdem kommen Selbstbedienungstechnologien zum Einsatz, etwa durch Nutzung des Selbstservice-Potenzials des Internets, automatische Spracherkennung, FAQ, Collaboration oder virtueller Assistenten.
  • Mithilfe statistischer Erhebungen und Vorhersagen des Arbeitsanfalls werden stundentaktgenaue Vorgaben des Arbeits­volumens ermittelt, um die Personalkapazitäten anzupassen. Das softwaregesteuerte Workforce Management teilt die Mitarbeiter so ein, dass die Arbeitskapazität exakt dem anfallenden Arbeitsvolumen entspricht; das hat gravierende Folgen für die Beschäftigten wie Stundenverträge, zerteilte Arbeitszeiten oder eine ständige Einsatzbereitschaft. 
  • In Bereichen mit Kundenkontakt können die Mitarbeiter nicht mehr entscheiden, welche Arbeitsvorgänge sie übernehmen. Stattdessen verteilen intelligente Telefonanlagen (ACD/CTI) und Workflowsysteme die Arbeit auf die Mitarbeiter.
  • Jeder Kundenkontakt wird durch das CRM-Kundenbeziehungsmanagement „gescannt“ und ausgewertet, um den Aufwand gegenüber bestimmten Kunden(-gruppen) in Beziehung zum Kundenpotenzial zu setzen. Dadurch können Festlegungen getroffen werden, mit welchem Auf­wand Kunden zu betreuen sind, aber auch Mitar­beiter­rankings ausgelobt werden für die „effektivste“ Kunden­betreuung. 
  • Die Aufgaben von Führungskräften werden auf das Führen durch Kennzahlen verengt, sie sollen die Mitarbeiter auf die Ergebnisse einschwören. Die Messbarkeit des Prozessverlaufs und die Ergebnisorientierung stehen im Vordergrund. Kontinuierliche Qualitätskontrollen erfolgen etwa durch Mit­hören, Testanrufe oder Gesprächsmitschnitte.
  • Die langfristige Personaleinsatzsteuerung mit IT-gestützten Instrumenten (wie Successfactors) orientiert sich am jährlichen Planungszyklus und verzahnt Unternehmensstrategie, Personalplanung und Maßnahmen für einzelne Mitarbeiter. Alle Personalprozesse vom Recruiting, über Zielver­ein­barungen, Mitarbeitergespräche, Leistungs­beur­teilung und Personalentwicklung werden konsequent am Unter­neh­mens­ziel ausgerichtet. Die Leistungsdaten des Mitarbeiters werden zu einer Gesamtnote verdichtet, nach der sich Personal­entscheidungen wie Vergütung, weitere Verwen­dung, Qualifizierungspläne orientieren. 

Erosion der Arbeitsbedingungen verhindern

Angesichts dieser Entwicklungen stehen Interessen­ver­tre­tungen vor der Herausforderung, den rechtlichen Rahmen für Mitbestimmung und Ausgestaltung offensiv zu nutzen, um arbeitnehmerorientierte Leitbilder für Gute Arbeit auszugestalten. Dazu können Instrumente wie die Gefährdungs­beurteilung, IT-Vereinbarungen zum Arbeitnehmerdaten­schutz, Mitarbeiterbefragungen zur Belastungsanalyse und wirksame Strukturen für den Arbeits- und Gesundheitsschutz oder eine Quali-fizierungsmatrix eingesetzt werden.